Tanz durch die Nacht 

David Helbock und Julia Hofer eröffnen Herbstlaub-Reihe mit Konzert zwischen Flügel, Fretless-Bass und feinen Nachtklängen
Osterhofener Zeitung vom 23. Oktober. Bericht und Fotos: Thomas Krenn (1. Abschnitt) Fotos: Michaela Roth-Haslbeck (2. Abschnitt)

Pleinting. Die ersten Töne kommen aus dem Inneren des Flügels. Keine Akkorde – nur trockene Anschläge auf gespanntem Metall, präzise gesetzt. Julia Hofer steigt mit einem dunklen Basslauf ein, schiebt dieMusik nach vorne. In der Alten Kirche beginnt ein ungewöhnlicher Konzertabend – körperlich, klangvoll, voller Kontraste. Der Eröffnungstitel trägt den Namen „Woman’s Dance“. Und genau das war es – ein tänzerischer Auftakt, roh und zugleich kunstvoll, ein musikalischer Sog, der das Publikum vom ersten Moment an mitnahm– nicht ohne ein leises Staunen über David Helbocks ungewohnte Klangsprache auszulösen.
Ein Abend voller Gegensätze: Groove und Stille, Experiment und Eingängigkeit, Improvisation und Intuition – zwischen Pop, Jazz und Klassik verschwammen die Grenzen. Das Ganze in einem Spielort, der sich durch gezielte Akustikmaßnahmen neu erfunden hat – und einVeranstalter, der mit viel Idealismus Klangkunst aufs Land bringt.
Dass es an diesem Abend keine Setlist gibt, sondern ein Wechselspiel aus Impuls und Reaktion, merkt man schnell. Mal beginnt Helbock ein Stück allein, mal fällt Hofer mit einem Groove hinein, dann beginnt Musik zu wachsen. Spontan, unaufgeregt, aber immer wach und dicht. „Das Duo-Setting ist die direkteste Kommunikation, die in der Musik möglich ist“, sagt Helbock im Gespräch vor dem Auftritt. „Da gibt es so viel Raum für neue Sounds – und der andere muss sofort darauf reagieren.“

David Helbock, am Flügel und im Flügel zugleich, nutzt das Instrument als Klangkörper im wörtlichen Sinn. Mit Händen, Fingern, kleinen Schlägeln, die sonst fürs Schlagwerk gedacht sind, und Dämpfungseffekten formt er rhythmische Strukturen, die mit der Grenze zwischen Groove und Geräusch spielen. Julia Hofers Fretless-Bass setzt warme Melodielinien in den Raum, während sie am Cello ebenso gezupfte Bassfiguren wie gestrichene Klangflächen beisteuert. Immer wieder wechseln die Instrumente ihre Rollen – Begleitung, Melodie, Rhythmus: nichts bleibt lange so, wie es begonnen hat.
„Julia begeistert mich vor allem durch ihre Energie und ihren Groove“, sagt Helbock. „Und als sie mir erzählte, dass sie neben E-Bass auch Cello spielt, war ich motiviert, dafür eigene Musik zu schreiben.“ Die gemeinsame Sprache  entwickelten sie in Proben, zwischen Improvisation und Struktur – ein offener Prozess, gespeist aus dem, was beide mitbrachten: Pop-Erfahrung auf der einen Seite, freie Jazztradition auf der anderen.
Der Titel des Albums, aus dem viele Stücke des Abends stammen, lautet „Faces of Night“–Gesichter der Nacht. In der Alten Kirche entfaltet sich ein Klangbild, das wie gemacht scheint für diese Assoziationen: träumerisch, still,  gelegentlich on einer inneren Spannung durchzogen.

Helbock und Hofer bewegen sich mühelos zwischen musikalischen Welten: Zwei Stücke von Prince, die in der Mitte des Konzerts zuhören sind, waren ebenso Teil des Programms wie Bearbeitungen von Robert und Clara Schumann.
Die Alte Kirche bietet dafür den idealen Rahmen – ein Raum, der nicht stört, sondern trägt. Wenn zwischen zwei Stücken kurz Stille herrscht, zieht kein Nachhall mehr nach, nichts verschwimmt. Die Klänge stehen klar im Raum – direkt, präsent, fast greifbar. „Die Töne sind jetzt überall in der Kirche deutlich zu hören“, sagt Peter Wallner, Vorsitzender der Jazz- und Musikfreunde Vilshofen. Gemeinsam mit dem Kulturkreis Alte Kirche, der Stadt Vilshofen  und der ILE Klosterwinkel hat der Verein die Akustik gezielt verbessert – mit großer Wirkung. Auch beim Publikum fällt die Veränderung auf. In der Pause sprechen mehrere Besucher Wallner direkt darauf an. Für die Veranstalter  ist das ein entscheidender Schritt: Künftig müssen sie bei der Auswahl der Künstler nicht mehr auf „nachhalltaugliche“ Instrumentierung achten. Auch Bläser oder Schlagwerk können den Kirchenraum jetzt besser füllen, ohne ihn  zu überfordern.

Nach drei Zugaben: Applaus von 50 Zuhörern, lang und ehrlich. Einige Besucher lächeln, als wären sie selbst überrascht vom eigenen Erleben. Peter Wallner hat diesen Moment schon oft erlebt – und doch freut er sich jedes Mal aufs Neue, wenn ihm jemand sagt: „Ich habe immer gedacht, ich mag eigentlich keinen Jazz. Aber das war echt super.“
Hinter der Herbstlaub-Reihe stehen keine Agenturen, sondern ein kleiner Verein mit großer Leidenschaft. Die Jazz- und Musikfreunde Vilshofen kuratieren das Programm, holen Künstler nach Pleinting, kümmern sich um Bühne, Technik, Werbung – und um den Raum, den sie selbst bespielen. Für Peter Wallner ist das mehr als Organisation. „Natürlich braucht es Idealismus“, sagt er. „Aber es ist toll,wenn man sich die Musik, die nach Vilshofen kommt, selbst mit aussuchen kann.“ Wenn beides gelingt, sagt er, also die Künstlerwahl und der Funke zum Publikum, „dann geht uns das Herz auf“.
Die Herbstlaub-Reihe geht am Samstag, 25. Oktober, weiter. Das vielgelobte Edgar-Knecht-Trio wird nach Pleinting kommen. Edgar Knecht hat sich seit langem durch die Art und Weise, wie er Jazz und Weltmusik mit klassischer Kompositionstechnik verbindet, einen unverwechselbaren Platz in der internationalen Musikwelt erspielt. Für seine einzigartigen Volksliedbearbeitungen wird er weltweit gefeiert.