Heimat in Worten und Klängen 

Anna Veit berührt mit ihrer Lesung „Wenn ich mal groß bin …“ – Stiller Abschluss der Herbstlaub-Reihe 
Vilshofener Anzeiger vom 12.11.2025, Bericht und Bilder: Thomas Krenn 

Pleinting. Ein leises Atemholen, ein einzelner Ton. Das Saxofon tastet sich in den Raum. Die Alte Kirche atmet, als lausche sie selbst. Anna Veit sitzt an einem schlichten Holztisch, schlägt das Heft auf und liest: „Ein früher Morgen  im Hochsommer. Irgendwo in Niederbayern.“ Ihre Stimme ist warm und ruhig. Sie spricht vom„Heing“, vom Duft nach Heu, Staub und Erde, vom Marmeladbrot, das die Mutter in mundgerechte Stücke schnitt. Draußen November, drinnen Hochsommer. Menschen nicken. Jemand lächelt, als das Wort „Chabeso“ fällt.
Es war der Schlusspunkt der diesjährigen Herbstlaub-Reihe der Jazz- und Musikfreunde Vilshofen: Anna Veit, Schauspielerin und Sängerin, brachte mit dem Ensemble Saxophonicum ein Stück Niederbayern zum Klingen. Ihre  musikalische Lesung „Wenn ich mal groß bin …“ wurde zu einem zarten Porträt über das Aufwachsen auf dem Land und den Wunsch, groß zu werden, ohne das Kindsein zu verlieren. Die Musiker antworten mit weichen Klängen, lassen den Ton der Erinnerung weiterziehen.
Diese „Lesung mit Musik“ ist kein Konzert und keine klassische Lesung. Es ist ein Zwiegespräch zwischen Wort und Ton. Veit erzählt von einer Kindheit auf dem Land– und von einem Gefühl, das mehr ist als Nostalgie.

Was in Heimat in Worten und Klängen ihrem Heft steht, ist dicht an der Wirklichkeit und zugleich größer als sie. Eine Geschichte von Freiheit und Arbeit, von Gebetläuten und Katzen, von Omas, Opas und Nachmittagen, die nach  Sonne und Staub schmeckten. Musik legt sich dazwischen, nicht als Begleitung, eher als zweite Erzählerin. 
Auf den Feldern tauchen Begriffe auf, die nach Arbeit klingen: der Kreiselheuer ordnet das Gras, der Schwader legt es in Zeilen, der Ladewagen nimmt es auf, ein dunkelgrünes Gebläse schiebt das Heu tief in den Stall. Veit nennt das nebenbei, als wäre es selbstverständlich. Diese Genauigkeit macht die Bilder lebendig.
Im Publikum herrscht konzentrierte Ruhe. Nur manchmal ein leises Lachen, wenn Veit von ihrem Kinderglauben erzählt, dass die Kommunion gegen Husten helfe. Von der Kirche erzählt sie mit derselben Sorgfalt im Kleinen: das Gebetläuten als täglicher Takt, die Litanei, bei der die Stimme stockt, die Hand der Oma, die den Satz übernimmt. So wird Erinnerung zu Nähe.
Heimat bekommt in ihren Geschichten Körper. Das Werdergwand sitzt locker,barfuß stauben die Schritte, ein Kittelschürzen-Duft zieht aus der Küche.
Was bedeutet für Anna Veit der Begriff„Heimat“? Gar nicht so einfach“, sagt sie im Gespräch. „Ein Zustand. Empfindungen. Gefühle, Gerüche, Orte. Menschen, bei denen man sich zu Hause fühlt.“

Der Zustand sei eigentlich ein innerer. Diese Heimat spürt auch das Publikum. Viele aus den umliegenden Dörfern kennen den Geruch von Heu und den Rhythmus der Sommerabende. Während der Lesung spürt man, wie sehr ihre Worte Erinnerungen wecken. Menschen nicken, tauschen Blicke, und man ahnt schon, was später geschehen wird: Dass Zuhörer zu Anna Veit gehen und ihr ihre Version des Erlebten erzählen werden – ähnlich oder ganz anders erinnert. „Das ist wundervoll“, sagt die Künstlerin.
„Geschrieben habe ich eigentlich immer schon“, erzählt Anna Veit fernab der Bühne und des Publikums. Während der Pandemie war dann Platz – und vielleicht auch Not –, etwas davon in Form zu bringen. „Alles beruht schon mehr oder weniger auf der Wahrheit“, sagt sie weiter. „Aber was sind schon Fakten?“ 
Für die Jazz- und Musikfreunde war diese Lesung ein bewusstes Experiment. „Wir versuchen immer, unser Programm gut zu mischen“, sagen sie. „Dass es abwechslungsreich und bunt ist – wie das Herbstlaub eben.“ Die Reihe will nicht elitär sein, aber anspruchsvoll–und sie zieht Publikum an. Rund 100 Zuhörer lauschten Veits Worten am Sonntagabend. 
Dass Veit ihre Erinnerungen nicht allein trägt, sondern von vier Saxofonen und Percussion umrahmt wird, ist kein Zufall. „Die Lesung war von Haus aus als „Lesung mit Musik„ konzipiert“, erzählen die Musiker. „Wir haben bei Anna angefragt, ob sie es auch mit uns als ,Local Heroes’ probieren würde.“ Veit sagte zu.

Wenn Wort und Klang ineinander übergehen, wird die Kirche in Veits Erzählung mehr als nur Schauplatz. Die Kühle des Steins, das sanfte Nachhallen im Gewölbe, der Geruch von nassem Novembermantel neben Heu im Kopf – daraus entsteht der Nachklang. 
Am Ende liest Anna Veit von einer Welt, die vergangen ist. Von der kleinen Ladenbesitzerin, die irgendwann ihre Kundschaft verlor, vom Stammtisch, an dem heute andere sitzen, von der Zeit, die sich leise verändert. Dann erzählt sie von ihrer verstorbenen Oma, die in den Mond sah und darin die Verbindung zu ihrem Sohn in der Ferne fand. „Wenn ich den Moschei anschaue, dann weiß ich, dass du denselben siehst,“ liest Veit – und plötzlich scheint der Raum still zu stehen. Es ist ein leiser, poetischer Schluss, in dem Erinnerung, Verlust und Nähe ineinanderfließen. Veits Lesung endet nicht mit einem Punkt, sondern mit einem Gefühl: dass Heimat kein Ort ist, sondern ein Nachklang – so beständig wie der Mond über Niederbayern.
2026 soll die Reiheweitergehen. Die Jazz- und Musikfreunde planen zwei Abende in der Alten Kirche. Höhepunkt wird das große Jubiläumskonzert imAtrium Vilshofen: Die Jeremias Flickschuster Jazzband feiert ihren 60.  Geburtstag, als Vorband des international bekannten Tingvall Trios. Der Termin steht bereits: 31. Oktober.