Winterreise Zeitungsbericht 09.01.2023

PNP vom 9. Januar 2023, Bericht und Foto: Gesine Hirtler-Rieger

Lieder gegen den Schmerz

Jonas Müller begeistert mit „Winterreise“ bei Musikfreunden Vilshofen

Es war ein kleines Wagnis: Die „Winterreise“, Franz Schuberts meistaufgeführter Liederzyklus mit Klavierbegleitung, hat eine große Fangemeinde. Erwartungsvoll saßen viele von ihnen am Samstagabend im Konzertsaal Alte Kirche in Pleinting bei Vilshofen im Landkreis Passau, um diese in einer neu bearbeiteten Fassung mit Zupfinstrumenten zu erleben. Der junge, preisgekrönte Bariton Jonas Müller, 1999 in Deggendorf geboren, wurde begleitet vom international renommierten Gitarrenduo Tomasi und Musso. Das Trio überzeugte vom ersten Lied an. Stimme und Saitenmusik verwoben sich zu einem bewegenden Klangerlebnis, das im Kirchenschiff zu schweben schien. Innig und zart, aber auch zornig und todessehnsüchtig nahmen die Gefühle des Wanderers Gestalt an, den man auf existenziellen Schicksalswegen durch öde Winterlandschaften begleitet. Kaum wagte das Publikum zu atmen, geschweige denn zu husten. Wer dieser Winterreisende ist, das bleibt unbestimmt. Doch die emotionalen Höhen und vor allem Tiefen, die Schubert nach den Gedichten von Wilhelm Müller 1827 vertonte, sind auch nach 200 Jahren noch aktuell. „Fremd bin ich eingezogen, fremd zieh’ ich wieder aus“ – Worte und Töne, die offen sind für viele Deutungen.
Jonas Müller gelingt es, sich das Schicksal des enttäuschten Liebenden, der sich immer mehr in depressiven Wahn hineinsingt, zu eigen zu machen. Er weiß, wann er ins wütende Fortissimo oder ins klangvolle Piano gehen muss, und wann er in einer zurückhaltenden mezza voce bleibt. Nicht immer ist der Text klar verständlich, aber die Haltung erschließt sich stets. 75 Minuten singt er ohne Pause – eine körperliche Höchstleistung, die er bravourös meistert. Davide Giovanni Tomasi und Marco Musso begleiten den Bariton auf ihren Gitarren zurückhaltend, aber rundum überzeugend. Sie geben den extremen Gefühlen des Wanderers einen ausdrucksstarken Resonanzraum. Es ist eine intime Zwiesprache zwischen Stimme und Saiten, der man lauschen darf, unterstützt vom überirdisch blauen Lichtschimmer, in den die Jazz- und Musikfreunde Vilshofen als Veranstalter den Raum tauchen. Der Applaus am Ende macht die Begeisterung deutlich. Als zusätzliches Geschenk bietet die kleine Ausstellung mit Radierungen des jungen Vilshofener Grafikkünstlers Matthias Englmaier auch etwas für das Auge. Der Grafikkünstler beschäftigte sich intensiv mit den Seelenzuständen des Winterreisenden und stellte sie in einem Zyklus dar. Vielleicht hätte auch Franz Schubert, den sowohl Liebe wie auch Krankheit zu einem einsamen Menschen machten, sich darin wiedergefunden.


Zornig, hoffnungsvoll und verzweifelt. Jäh durchlaufen sie alle Gefühle, die Franz Schubert in Musik verwandelte: Bariton Jonas Müller (v.l.) mit Davide Tomasi und Marco Musso.

Die folgenden Bilder hat Michaela Roth-Haslbeck dankenswerter Weise zur Verfügung gestellt: